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Die Armut vieler Taunerfamilien in der Schweiz, die weder in der Landwirtschaft noch im Handwerk genügend Auskommen fanden, liess neue Formen der Heimarbeit aufkommen. Vom 17. Jh. an arbeiteten tausende Männer und Frauen als Hosen- und Strumpflismer, Spinner oder Weber von Leinwand, später von Baumwolle oder als Schappespinner. Sie arbeiteten für Verleger, die ihnen von Zentren wie z.B. Gersau, Langenthal oder Lenzburg aus das Rohmaterial beschafften und die Produkte vermarkteten.

In Wohlen entwickelte sich aus dem Hausbrauch des Strohflechtens die kleine, eigenständige verlagsweise Strohflechterei – eine eigene Initiative gegen die Armut im übervölkerten Dorf. Tauner waren die Unternehmer. Sie zogen mit wenig Kapital den Geflecht- und Huthandel auf. Sie verwerteten das billige Roggenstroh, das sie über den Winter von Männern, Frauen und Jugendlichen um Lohn flechten liessen. Sie waren nicht besser gestellt als Handwerker und Kleinbauern, denn im überregulierten Ancien Régime war Taunern Geldverdienen schwer gemacht.

Die Tauner-Geflechthändler erlebten daher die Französische Revolution als Befreiung: Sie nutzten als Erste die neue Gewerbefreiheit. Nach 1803 weiteten sie innert weniger Jahre ihre Verkaufstätigkeit über ganz Europa, ab 1826 auch in Amerika aus. Immer mehr Dörfer im Freiamt, Seetal, Luzernbiet und der Innerschweiz, im zürcherischen Rafzerfeld und Freiburger Greyerzerland arbeiteten im Auftrag der Wohler Unternehmer.

Diese nahmen die Moderichtungen der Weltstädte, insbesondere von Paris, zum Richtmesser ihrer Arbeit: Aus dem Bauerndorf Wohlen wurde „Kleinparis“, die Geflechthändler wandelten sich zu Negotianten, die ihre Wohnung über den Kontors in prächtigen Neubauten unterbrachten.

Für den Erfolg ausschlaggebend wurde die Umstellung auf den Fabrikbetrieb und auf neue Materialien und Techniken. Um die Mitte des 19. Jh. entstanden erste Fabrikgebäude, in denen Fabrikarbeiter vor allem Hutgeflechte maschinell anfertigten, während sich die Heim- und Handarbeit zunehmend auf kunstvolle Hutgarnituren spezialisierte. Gute Geschäftsjahre – so nach 1803, nach 1840 und um 1860 – verlockten zu vielen Firmengründungen. Nur wenige von ihnen überlebten die hektischen Bedingungen, denen diese Export-, Mode- und Saisonindustrie ausgesetzt war.

Die Strohindustrie zog Zuliefer- und Veredlungsfirmen wie Färbereien und Bleichereien an. Mit der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre setzte im Arbeitsplatzangebot der Gemeinde die Umstrukturierung ein: Die Strohindustrie verlor ihre Monopolstellung bis zu ihrem völligen Verschwinden (1991). Neue Industrien (u.a. Maschinen- und Werkzeugbau, Messinstrumente, Bekleidungs-, Kunststoff- und Verpackungsindustrie, Eisenwerk) traten an ihre Stelle, die z.T. Fabrikgebäude und Arbeiterschaft übernahmen.

Strohflechten

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